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Intime Selbsterkenntnis

Gunter Damisch, "Knochenweltballung" Foto: KK

Mit der Sommerausstellung zeigt das Greith-Haus dieses Jahr nicht nur einen der großen österreichischen Gegenwartskünstler. Die Gunter-Damisch-Retrospektive ist auch eine herzliche Einladung für das sinnliche Erlebnis abstrakter Kunst.

Text: Lydia Bißmann

Das Greith-Haus in St. Ulrich bietet eine wundervolle Gelegenheit, sich umgeben von sanften Weinbergen, sorgfältig gepflegten Fischteichen und kleinen Kirchenjuwelen so richtig auf die Kunst einzulassen. Wie sonst kaum wo können Besucher ohne Hektik und Ablenkung konzentriert in das Ausstellungserlebnis eintauchen. Dieses Jahr haben sich Gerhard Roth und Isabella Holzmann dazu entschieden, einen Überblick über das sehr umfangreiche Œuvre des zeitgenössischen Malers und Bildhauers Gunter Damisch zu geben, der leider vor fünf Jahren viel zu früh verstorben ist. Sie zeigen ausgesuchte Skulpturen, Gemälde, Kohle­zeichnungen, Drucke und Grafiken von den 80ern bis zum Schluss. Damisch, der schon mit 25 Jahren von seiner Kunst leben konnte, liebte es großzügig und großformatig. Zum Arbeiten benutzte er ein Atelier in der Stadt und eines am Land, wie im Video-Porträt von Cast Your Art im unteren Stockwerk zu erfahren ist. Er brauchte Platz für das Anfertigen seiner Skulpturen und Bilder und Raum für die Gedanken. Als Vertreter der „Neuen Malerei“ ist Damisch vor allem für seine expressionistisch und abstrakt anmutenden Gemälde bekannt. Sie erinnern an Ethno-Stoffmuster oder vergrößerte Aufnahmen von Mitochondrien unter dem Mikroskop. Beim genaueren Betrachten und Kombinieren tauchen dann aber menschenartige Figuren oder auch Tiergestalten darin auf. Damisch schätzt Farben, aber trotzdem ist es die Linie, die den Ton angibt. Ob verschwenderisch oder dick auf Leinwand aufgetragen: Die grellen Töne werden immer wieder eingeholt und eingegrenzt von den Linien, auf denen auch etwas geschieht. Richtig verstehen kann das der Betrachter aber erst durch die Aluminium-Skulpturen, die vernickelt in Silber oder mit rotem Autolack versehen dazwischen aufgestellt sind. Die Linien, die leicht ausgefranste Zellwände oder auch comicartig gezeichnete Narben sein könnten, sind alle mit winzig kleinen Figuren versehen, die etwas größer auf den Skulpturen angebracht sind. Wie Mandelbrots Apfelmännchen tauchen sie plötzlich überall auf und tanzen ihren Reigen durch die Bildlandschaften. Es ist ein sehr schönes Aha-Erlebnis, das fast intime Züge hat und sofort Lust darauf macht, die Ausstellung nochmal von vorne zu beginnen.

Gunter Damisch, „Im Ei“, 1989

Damisch, der auch als Musiker und Literat tätig war und laut eigener Einschätzung gar nicht absichtlich bei der Malerei geblieben ist, fügte seinen Bildern mit seinen Bildunterschriften auch kleine Micro-Gedichte hinzu. „Weltverschränkungwelten“, „Weltflimmernzentrum“, „Silberwegfeldlöcher“ oder „Orange Weltwegschlingen Blauort“ sind Wortschöpfungen, die das Kopfkino im Nu rattern lassen. Im Museumsshop des Greith-Hauses werden neben dem Ausstellungskatalog zur aktuellen Schau auch weitere Bücher von Damisch angeboten. Auch dort wirken die geschickt gesetzten Zeichnungen und Grafiken wie ein Gedichtband. Nur eben ohne Text. Damisch ist ein Künstler, der mit seinen Arbeiten sehr einladende und warme Berührungspunkte zu zeitgenössischer und abstrakter Kunst anbietet. Er war ab 1998 Professor für Druckgrafik an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Als solcher war er nicht nur ein ausgezeichneter Lehrer, sondern auch ein höchst eloquenter Beschreiber seiner eigenen und der Kunst im Allgemeinen. Einen Eindruck davon bekommen die Besucher in dem Begleitvideo, das noch zu Lebzeiten des Künstlers entstanden ist. Bei den Vorbereitungen zu einer Ausstellung in St. Pölten erzählt er über sich selbst, seinen Ansatz und seine Arbeit. Wer noch mehr über Gunter Damisch erfahren möchte, kann dies bei den Abendführungen mit Kurator Günther Holler-Schuster an 13. August und am 3. September oder mit Greith-Haus-Leiterin Isabella Holzmann noch am 30. Juli oder am 10. September tun. Alle Abendführungen sind von einer Weinverkostung der Laubdorfbauern aus St. Ulrich in Greith begleitet.      

Gunter Damisch, „Weltflimmernzentrum“

Greith-Haus, Sommerausstellung – Gunter Damisch: Wegverschränkungswelten

25.6.–12.9.2021, Mi–So, 10–18 Uhr

Kopreinigg 90, 8544 St. Ulrich in Greith, Telefon: 03465 20200
www.greith-haus.at