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Herbert Brandl: Pessimist aus Leidenschaft

Herbert Brandl, "Alpha gegen Alpha", 2015 Foto: Wolfgang Günzel

Die Brandl-Personale „MORGEN“ im Kunsthaus Graz ist ein Pflichtprogramm für alle Fans des großen Malers und hat neben der Ausstellung selbst auch noch einige spezielle Extras zu bieten.

Text: Lydia Bißmann

Obwohl die Vorbereitungen für die Ausstellung Herbert Brandl. Morgen schon im Vorjahr begonnen haben, passt der gewählte Titel sehr gut in die allgemein vorherrschende Stimmung. Morgen, das kann ebenso hoffnungsvoll wie vage oder ausweichend aufgefasst werden. Morgen kann sich alles ändern, ein Morgen ist der Beginn eines neuen Tages. Genau dann kann aber alles noch viel schlimmer werden. „Morgen“ ist das Lieblingswort aller Prokrastinierer, die keine Lust auf das haben, was gerade passieren sollte. Aber im Tagträumen und Verschieben liegt auch große Kraft. Mit seinen großformatigen Bilderwelten zählt Herbert Brandl, der sich selbst als „Pessimist aus Leidenschaft“ bezeichnet, zu den erfolgreichsten österreichischen Malern der Gegenwart. Das Sujet Landschaft nimmt einen wichtigen Stellenwert in seinem Werk ein. Brandl wurde 1959 in Graz geboren. Er besuchte die Hochschule für angewandte Kunst in Wien bei Herbert Tasquil und Peter Weibel. International ist der Künstler durch die Teilnahme an bedeutenden Ausstellungen wie der documenta IX in Kassel 1992 und der Biennale di Venezia 2007 bekannt. Von 2004 bis 2019 lehrte Brandl als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. Seine Werke sind in zahlreichen Sammlungen zu finden, wie etwa in der Wiener Albertina, der Kunsthalle Bern, der Renaissance Society Chicago oder im Centre Georges Pompidou in Paris. Die Bilder für die Schau im Kunsthaus stammen teilweise vom Künstler selbst, sind Leihgaben aus verschiedenen Sammlungen oder wurden aus der hauseigenen Kollektion des Joanneums gespeist.

Herbert Brandl, ohne Titel, 2017 Foto: Wolfgang Günzel

Vernetzung als Konzept

Morgen ist eine von insgesamt drei Brandl-Ausstellungen in diesem Jahr, die für ganz kurze Zeit sogar parallel zu sehen sein werden. Im Künstlerhaus Graz eröffnet am selben Tag die Ausstellung Herbert Brandl. 24/7 und in Wien im Belvedere 21 läuft noch bis zum Nationalfeiertag die Schau Herbert Brandl. Exposed to Painting. Erstmalig werden im Kunsthaus die wichtigsten Werkgruppen des Künstlers nebeneinander gezeigt. Hier finden sich Skulpturen, abstrakte und figurative Malereien. Die Schau gibt einen Einblick in die Arbeitsweise von Brandl und zeigt sein vielschichtiges Werk bis hin zu jüngsten Arbeiten. Das Display wurde von Brandl mit dem Gestalter Rainer Stadlbauer entwickelt. Das Arrangement der Bilder im doch recht anspruchsvollen Ausstellungsraum Space 01 greift hier die Überlegungen des Künstlers nochmal auf und übersetzt sie ins Räumlich-Architektonische. Als Inspiration für die Entstehung der Bilder selbst dienten ihm eigene Erlebnisse, Gesehenes und auch Träumereien und Phantasien. Kindheitserinnerungen, selbst geschossene Fotografien oder Aufnahmen aus diversen Webcams dienen genauso als künstlerische Impulse wie Bilder aus dem TV oder Internet. Im Malprozess werden diese Informationen dann weiter verdichtet, abstrahiert oder ausgelöscht. Ergänzt wird die Brandl-Schau von einer Arbeit von Thomas Baumann, die an der BIX-Fassade des Kunsthauses zu sehen ist, und einer überdimensionalen Skulptur von Edelgard Gerngross.

Herbert Brandl, ohne Titel, 2017 Foto: Wolfgang Günzel

Tiere und Felsen

Kuratiert wurde die „Personale mit Features“ von Kunsthaus-Intendantin Barbara Steiner selbst. Hier finden sich kristalline Steinformationen und jene Berglandschaften, die in den letzten zwei Jahrzehnten eine große Rolle in Brandls Werk gespielt haben. Die Bilder, die die Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion verschwimmen lassen, haben selten Titel. Als Betrachterin oder Betrachter kann man sich nicht ganz sicher sein, um welchen Berg es sich handelt. Selbst das bekannte Motiv des Matterhorns, das in unterschiedlichen Varianten auftaucht, löst sich immer wieder in der und über die Malerei auf. Ein kleiner bitterer Nachgeschmack bleibt dann aber auch zurück, wenn man entdeckt, dass es sich – zufällig oder absichtlich – ausgerechnet um die beiden anstrengenden und von Krisen geprägten Jahre 2008 und 2020 handelt, in denen zwei der ausgestellten Bergbilder entstanden sind. In Reaktion auf eine neue, sehr ungewiss gewordene Zukunft mag es nicht erstaunlich sein, dass sich über Werkauswahl und Präsentation auch ein nachdenklicher, fast schon apokalyptischer Zug in Brandls Personale hineinschreibt. Sicher ist man sich auch nicht bei einem martialisch anmutenden Raubvogel mit massiver Kralle im Vordergrund oder den Großkatzen und getupften Hyänen mit den schmalen Augen. Obwohl die Ohren ein Kindchenschema aktivieren könnten, riecht es doch im Hintergrund leicht nach Verwesung. Es hilft auch nichts, sich ständig zu versichern, dass Brandl wahrscheinlich Tiere und besonders Katzen einfach mag, sonst würden sie nicht ständig als Bildmotive oder Schnappschüsse in seinen Social-Media-Kanälen auftauchen. Zwei Bronzefiguren mit grüner Patina kämpfen miteinander und entfernen sich dabei vom harmonischen Anblick spielender Kätzchen im Internet. Trotzdem schleicht sich auch Hoffnung mit ein. Alpha gegen Alpha als Name für die Skulptur kann eine Pattsituation aber ebenso eine Begegnung auf gleicher Ebene heißen. Stillstand oder Bewegung – Brandl gibt keine Antwort und das ist das Schöne daran. Man muss eben nicht alles immer heute wissen.

Herbert Brandl, ohne Titel, 2020

Chronik einer Ausstellung

Im Rahmen der Ausstellung Morgen erscheinen ein Künstlerbuch in limitierter Edition und ein Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König. Beide orientieren sich an Büchern, die Brandl in den letzten Jahren beinahe jährlich für sich selbst und einige wenige Freunde publiziert hatte und die sein gesellschaftliches wie künstlerisches Interesse zeigen. In My Instagram Diary oder My Facebook Year greift der Künstler auf eigene Fotos und Bilder aus seinen dicht bestückten Social-Media-Auftritten im Netz zurück. Für das Kunsthaus Graz entsteht in Anlehnung daran eine in mehrfacher Hinsicht außergewöhnliche Publikation. Sie zeigt nicht nur das Entstehen der Ausstellung von Anfang 2019 bis Oktober 2020, sondern stellt auch Bezüge zu den beiden anderen heurigen Ausstellungen im Künstlerhaus und im Belvedere 21 her. Hier tauchen Motive, Situationen und andere Inspirationen des Künstlers auf und verschmelzen zu einer liebevollen, intimen, aber doch angenehm distanzierten Collage miteinander.

Herbert Brandl

Herbert Brandl. Morgen

Features: Thomas Baumann und Edelgard Gerngross

Kuratiert von Barbara Steiner. Laufzeit: 23.10.2020-7.3.2021.

Open House: 22.10.2020, 15–21 Uhr, Eintritt frei

Kunsthaus Graz, Lendkai 1, 8020 Graz, Tel. 0316 8017-9200
www.kunsthausgraz.at