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Auf der Suche nach dem guten Leben

Le Tresor des Salaires Foto: OCTO-R

In einem Balanceakt zwischen innen und außen, Nähe und Distanz begeben sich Kulturschaffende gemeinsam mit der Bevölkerung auf die Suche nach Formulierungen für ein mögliches Morgen. Der Wert der Arbeit spielt ebenso eine Rolle wie Demokratie, Wohlstand und Gemeinwohl.

Text: Natalie Resch

Schon wieder eine Baustelle – könnten sich Fußgänger denken, die derzeit am Kunsthaus Graz vorbei in Richtung Südtirolerplatz gehen. Eine temporäre Stiege führt von Gehsteigniveau direkt zu den Räumlichkeiten der Camera Austria. Sie erzeugt noch bis 22. Oktober Irritation und Neugierde. Denn die Ausstellungsräume waren bisher nur über das Foyer des Kunsthauses zugänglich. Somit wären wir beim Kern des Kulturjahrprojektes der Camera Austria. Das Konzept der Künstler Nicole Six und Paul Petritsch lässt bei freiem Eintritt einen für jeden einnehmbaren Raum der Stadt entstehen, den Echoraum. Das mehrteilige Projekt Die Stadt & Das gute Leben bricht den fixen Standort der Institution auf, macht sich auf den Weg, um Eggenberg als gleichwertigen Aktionsraum mit Projektpartnern vor Ort zu erforschen, wie Jugend am Werk, Gruppe Bussi, Künstlerin Christina Lederhaas, StadtLABOR, um nur einige zu nennen. Was können Bürger für ihre Stadt und die Stadt für ihre Bürger tun, fragen sie sich. Gemeinsam suchen Institutionen und Communities nach Formulierungen des guten Lebens in der Stadt. Begriffe wie Wachstum und Gemeinwohl nehmen sie anhand von konkreten lokalen Situationen unter die Lupe. Temporär grüne Inseln an sonst dem Verkehr gewidmeten Plätzen transformieren sich zu Begegnungszonen. Die Balkonausstellung in der Wohnanlage Wald widmet sich der Frage nach unserem Zuhause und dem Wert, dem wir diesem, Covid-19-bedingt, verliehen haben. Eine sehr persönliche Bestandsaufnahme mit Bildern aus dem Inneren der Wohnungen und Menschen. Am 23. Oktober kehrt das Projekt ins Eiserne Haus zurück und stellt das „gute Leben“ aus Eggenberger Sicht aus.

Zeit in Salzbarren aufwiegen?

Wenn man zählen könnte, wie viel Stunden alle Grazer an einem Tag arbeiten, wie viele wären das wohl? Die interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft OCTO–R ermittelt diese und macht sie anhand von Salzbarren sichtbar. Die wiederum fertigen Besucher in einem aufgelassenen Geschäft in der Annenstraße 20 selbst an. Nach und nach formt sich bis zur Eröffnung der Ausstellung am 23. Oktober eine Installation, die uns über den Wert der Arbeit nachdenken lässt. Die Ausstellung setzt sich mit der Definition von Arbeit und der künstlerischen Auswertung der Umfrageergebnisse in Form von Grafiken und Drucken auseinander. Die Befragung ist noch bis 7. Oktober online abrufbar: https://le.tresor.des.salaires.work. „Wir möchten ein Bewusstsein schaffen für die Arbeit, die generell geleistet wird – bezahlt oder unbezahlt. Zum Nachdenken anregen, was im Kollektiv, in der Gesellschaft entlohnt wird oder eben nicht. Und was der Begriff Lohn mit uns macht, wo Bruchstellen und Diskrepanzen entstehen“, so Ulrich Reiterer, der sich mit Christina Romirer hinter dem Kollektiv OCTO–R verbirgt.        

Die Stadt & Das gute Leben Foto: Camera Austria

Die Stadt & Das gute Leben

Camera Austria in Zusammenarbeit mit Daniela Brasil, Nicole Six & Paul Petritsch sowie Urban Subjects Site-Specific (Public) Lessons: bis 22.10.2020, Eggenberg und Camera Austria

diestadtunddasguteleben.at

Le Trésor des Salaires von OCTO–R

Ausstellung und Installation: 7.10.–7.11.2020, Annenstraße 20

kulturjahr2020.at/projekte/le-tresor-des-salaires

Terminübersicht im Oktober

The Chorus Project – Orestie Reloaded

Drei internationale Theatergruppen – Pathos München, MKC Skopje und upstart theatre London – beschäftigen sich im Austausch mit den Bürgern vor Ort mit der Frage nach dem Gewicht einzelner Stimmen im gesellschaftlichen Diskurs. Ausgangspunkt: die Orestie von Aischylos. Jene Trilogie der griechischen Tragödie, dessen Stoff von den Anfängen der Demokratie erzählt, als die Blutrache durch eine Rechtsprechung ersetzt wurde. Das Theater am Lend zeichnet für das an die Trilogie anschließende Satyrspiel verantwortlich. Mit 12 Menschen zwischen 60 und Mitte 80 wurde über persönliche und kollektive Erinnerungen und deren Funktion gesprochen. Es entstand Christian Winklers durchaus humorgeprägter Text, der wiederum mit den 12 Protagonisten in Interaktion geht. Im Rahmen der Aufführung erwartet das Publikum ein Spiel zwischen realer Präsenz der Protagonisten und medialer Zuspielung des Chors.

Proteus – ein verschollenes Stück Erinnerung: 7. & 8.10.2020, 18 und 20 Uhr; 9. & 10.10.2020, 22 Uhr, Theater am Lend, Wiener Straße 58a, 8020 Graz

Agamemnon – a queer feministic visual poem: 9. & 10.10.2020, 18 Uhr, Kristallwerk, Viktor-Franz-Straße 9, 8051 Graz

Choephoren – Orestia: 9. & 10.10.2020, 20 Uhr, Kristallwerk
www.theateramlend.at

Foto: Christian POGO Zach

Active Urban Citizenship

Welche Wünsche nach gesellschaftlicher und politischer Beteiligung gibt es in Graz? Wie können kreative Entwicklungs- und Verhandlungsprozesse aussehen? Im Rahmen von vier Workshops sind Frauen mit und ohne Migrationsgeschichte eingeladen, Visionen für ihren Bezirk Lend zu entwickeln. Initiiert und begleitet werden sie von einem Team der Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Karl-Franzens-Universität in Kooperation mit dem Frauenservice und dem Verein XENOS. Es gilt, den Blick für offizielle und inoffizielle kulturelle Praktiken, Macht und Abhängigkeitsverhältnisse zu schärfen und Rahmenbedingen zu schaffen, die Engagement fördern und konkrete Umsetzungsmethoden ermöglichen. Die Fotografin Maryam Mohammadi und die Textkünstlerin Kate Howlett-Jones begleiten das Projekt.

Workshop: 9. & 23.10.2020 und 27.1.2021, Infocafé palaver (Frauenservice Graz), Lendplatz 38
Fotoausstellung: 27. Jänner bis März 2021, Schaufenster im Bezirk Lend
www.active-urban-citizenship.uni-graz.at

Foto: Maryam Mohammadi

Kindertheaterfestival uff!

Drei Theaterstücke widmen sich den jüngsten Stadtbewohnern: Auf der Bühne des Knopftheaters verhandeln sie das Zusammenleben in der Stadt. Den Start macht das kollektiv kunststoff mit der Theaterperformance „Wann ist morgen?“ für Kinder ab sechs Jahren. Regisseurin Raffaela Gras dehnt die Zeit und fragt mit viel Humor: Wie das denn so ist mit dem Laut-Sein, wenn die Zeit stillsteht. Ein imaginärer Warteraum verwandelt sich für 3 Protagonisten zwischen 27 und 72 Jahren zum Raum, in dem alles möglich ist.

Wann ist morgen?: 8.–11.10., 12.–15.11.2020, 8.–11.4.2021, 16 Uhr, KNOPFTHEATER im Frida & freD Kindermuseum, www.fridaundfred.at

Foto: Photocase.at/kallejipp