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Kultursommer 2020, ein Kunststück

La Strada Foto: Rastl

Während viele große Kulturtanker bereits auf den Herbst setzen müssen, bemüht sich die freie Szene, den Sommer doch noch zu retten. Das kulturinteressierte Publikum wird es ihr danken.

Text: Stefan Zavernik

Die Corona-Krise hat den österreichischen Kulturbetrieb mit einem Schlag lahmgelegt. Von einem Tag auf den anderen gab es nichts mehr, keine Konzerte, keine Bühnenaufführungen, keinen Ausstellungs­betrieb. Wenige Tage nach dem Lockdown wurde auch eines schnell klar: Wie es weiter­gehen könnte, würde lange ungewiss bleiben. Nur bei einer Tatsache war man sich sicher: Die Kultur wird einer der letzten Bereiche sein, der wieder auf die Beine kommt. Womit aber niemand gerechnet hatte, war das Versagen der bundespolitischen Kulturpolitik. Und das in einer Kulturnation, in der die Kunst als Grundnahrungsmittel gilt. Klare Pläne, wie es mit dem Kulturbetrieb in Österreich weitergehen solle, konnten von der bereits zurückgetretenen Staatsekretärin Ulrike Lunacek und Vizekanzler Werner Kogler auch nach Wochen nicht auf den Tisch gelegt werden, zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Großteil des Landes längst wieder im Aufsperrmodus befand. Die erste ersehnte Pressekonferenz zum Thema Kultur nach Wochen des Wartens fand Mitte April statt. Sie verkam zu einer Darbietung der Planlosigkeit. Angekündigt wurde zwar, dass Museen Mitte Mai wieder öffnen dürften, für Bühnendarbietungen und den Probebetrieb großer Häuser blieb man hingegen die meisten Antworten schuldig. Ebenso für den Veranstaltungssektor. Fertig gedachte Konzepte? Fehlanzeige. Berechtigte Kritik und nachvollziehbare Häme aus der Kulturszene ließen nicht lange auf sich warten, der Groll wurde von Woche zu Woche heftiger. Mittlerweile gilt es als fix, dass ab Juni kleine und mittlere Theater wieder öffnen dürfen. Damit soll nicht nur der Betrieb großer Theaterbühnen im Herbst möglich gemacht werden, sondern auch im Sommer Perspektiven für Theaterproduktionen und Festivals bestehen. Steirische Kunsteinrichtungen und Kulturveranstalter möchten diese Chancen umgehend nutzen. Auch wenn vieles diesen Sommer weiterhin nicht möglich sein wird – allen voran Großveranstaltungen –,  die Zeit der Absagen ist vorerst Geschichte und ein Kultursommer 2020 in Graz und der Steiermark nimmt Form an. 

Die styriarte wird auch in diesem Sommer das Schloss Eggenberg zum Spielort machen
Foto: Werner Kmetitsch

Bildende Kunst

Die bildende Kunst ist die erste Kunstsparte, die das Vakuum des kunstleeren Landes ausfüllen wird. Private Galerien konnten bereits gemeinsam mit dem Handel ab Anfang Mai wiedereröffnen. Museen ist es seit dem 15. Mai wieder erlaubt. Wer diese nun besuchen möchte, verpflichtet sich dazu, Mund-Nasen-Schutz zu tragen und den Ein-Meter-Abstand einzuhalten. Pro Besucher müssen 10 m2 Nutzfläche gewährleistet werden, die Regel gilt dabei nicht für einzelne Ausstellungsräume, sondern für die kompletten Museumsräumlichkeiten. Einem Museumsbesuch steht damit nichts mehr im Weg. Die Chance, ab Mitte Mai wieder zu öffnen, nutzten in der Steiermark fast nur unabhängige Museen – jene der öffentlichen Hand, darunter die Häuser des Universalmuseum Joanneum, gehen erst wieder Anfang Juli in Betrieb. Zu sehen gibt es für Kunstinteressierte dennoch eine Vielzahl an großartigen Ausstellungen der freien Szene und einen geöffneten Österreichischen Skulpturenpark des Universalmuseum Joanneum. In Graz ist etwa eine aufwendig konzipierte Ausstellung von Alois Neuhold im Kulturzentrum bei den Minoriten zu sehen. Für den Kurator der Ausstellung und Leiter des Kulturzentrums, Johannes Rauchenberger, „kam die Öffnung der Museen um keinen Tag zu früh.“ Auch in den steirischen Regionen haben viele Museen seit 15. Mai wieder geöffnet und bieten auf diese Weise eine tolle Gelegenheit, um einen Kulturausflug ins Grüne ins Auge zu fassen. Darunter das Burgmuseum „Archeo Norico“ in Deutschlandsberg, das die Geschichte seiner Region mit insgesamt 8 zeitgleichen Ausstellungen erzählt. Oder das Feuerwehrmuseum in Groß St. Florian, das gerade eine Schau der Künstler Hubert Matt und Wolfgang Temmel zeigt.

Erwin Wurms „Fat House“ im Österreichischen Skulpturenpark
Foto: Birgit Bauernfeind

Die Musik spielt wieder

Vieles im Bereich der klassischen Musik musste in den letzten Wochen aufgrund gesetzlicher Bestimmungen abgesagt werden. Große Institutionen wie der Musikverein mussten ihre laufenden Spielzeiten abbrechen. Festivals wie Pfingstklang von Dirigent Alois Hochstrasser fielen ebenfalls dem Lockdown zum Opfer. Mit dem neuen Stufenplan für das Hochfahren des Kulturbetriebes werden nun mit Anfang Juni Aufführungen wieder bedingt möglich. Das belohnt all jene Veranstalter, die die Hoffnung, im Sommer dennoch ihre Projekte umsetzen zu können, bis zuletzt nicht verloren haben. Darunter auch das renommierteste Festival für klassische Musik in der Steiermark, die styriarte. Sie wird nun mit neuem Programm und verschobener Spielzeit (1. Juli bis 26. Juli) stattfinden und sich den Möglichkeiten entsprechend neu erfinden: keine große Eröffnung, dafür Konzerte mit kleineren Ensembles und veränderter Künstlerschaft aufgrund der schwierigen Einreisebedingungen. „Die Zeit der Absagen ist nun vorbei und die Zeit der Ansagen in der Kultur sollte wiederkommen. Denn wir brauchen die Botschaft der Kunst, dass sie sich nicht unterkriegen und einsperren lässt“, so Mathis Huber, Intendant der styriarte. Neben der Helmut-List-Halle wird das Schloss Eggenberg zum Konzertort, als ­Freiluft-Location.

Mathis Huber
Foto: Peter Riedler

Vorhang auf

Ab Ende Mai haben kleine und mittlere Theater wieder die Möglichkeit, ihren Spielbetrieb aufzunehmen. Der Großteil der freien Szene scharrt bereits in den Startlöchern und hat für diese positive Entwicklung bereits mit Konzepten vorgesorgt. In Graz etwa wird das Theater im Keller seine HC-Artmann-Produktion Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte! weiterführen und im Sommer seine traditionelle Sommerproduktion als ­Open-Air-Aufführung auf die Bühne bringen. Auch außerhalb von Graz werden freie Theater diesen Sommer für Bühnenerlebnisse sorgen. Etwa die Theaterfeste der Regionen, das renommierte Theaterfestival des Theaterland Steiermark unter der Leitung von Peter Faßhuber. Den Start machen die Theatertage Weißenbach in Haus im Ennstal. 10 Theaterprojekte werden in diesem kleinen, feinen Festival umgesetzt. Auch das Theaterkollektiv Vitamins of Society wird sein alljährliches Sommertheater in der Südweststeiermark umsetzen. Dieses Mal sogar erstmals mit einer eigens dafür konzipierten Vorstellung auf der Grazer Murinsel. Zu sehen sein wird das Stück Die grüne Insel. Regisseur Wolfgang Lampl beleuchtet darin die Träume und Visionen der Umweltbewegung in Gegenwart und Vergangenheit. Premiere feiert man am 30. Juli in Sankt Ulrich in Greith.

Die Vitamins Of Society wollen für Inselfeeling sorgen

Straßenkunst für alle Ein Sommer ohne das Festival La Strada ist für viele Grazerinnen und Grazer nicht mehr vorstellbar. Erfreulicherweise auch nicht für dessen Intendant Werner Schrempf. Das Festival wurde nun in seinem Durchführungszeitraum erheblich erweitert und wurde in drei Phasen unterteilt. Für den Zeitraum von Ende Juli bis Anfang August, dem ursprünglichen Zeitraum des Festivals, sind künstlerische Formate entstanden, die installativ-performativen Charakter haben. „Gemeinsam mit Künstlerpersönlichkeiten der Musik- und Tanzszene konzipieren wir von 24. bis 29. Juli ein Programm, das die gesamte Stadt in Zeit und Ort unangekündigt durchwirkt und durchmisst. Die künstlerischen Interaktionen schaffen Räume, in denen die Menschen sich ihre Kulturstadt Stück für Stück zurückerobern. Die aktive Beteiligung der Bevölkerung an den Projekten ist zentraler Inhalt der künstlerischen Arbeiten“, so Schrempf. Wobei die Projekte zwar die Stadt und ihren öffentlichen Raum durchwirken sollen, allerdings ohne Publikum aktiv an bestimmten Orten zu versammeln. Klingt nach einem schwierigen Kunststück, wird dem Festival aber wohl gelingen. Wie einem gut geübten Akrobaten der Drahtseilakt. Der Künstler Willi Dorner etwa wird gemeinsam mit Grazerinnen und Grazern in seinem Projekt It does matter where den urbanen Lebensraum künstlerisch besetzen.

Johannes Rauchenberger
Foto: J.J.Kucek