Start Featureshome Kultur in der Provinz ≠ provinzielle Kultur

Kultur in der Provinz ≠ provinzielle Kultur

Günter Brus, "Selbstbemalung", 1965/1984

Mit dem vielfältigen Programm der diversen Weizer Spielstätten ist in den letzten 30 Jahren der Nachweis gelungen, dass Kultur in der Provinz nichts mit provinzieller Kultur zu tun haben muss.

Text: Georg Köhler

Lange bevor das Kunsthaus inmitten des historischen Zentrums der Energie­stadt Weiz errichtet wurde, hat sich die Region in der Oststeiermark der Kultur verschrieben. So verwundert es auch nicht, dass etwa Schriftstellerin ­Marianne Fritz, Maler Hannes Schwarz oder der bildende Künstler Kurt Weber dieser Gegend entstammen. Mit einer Ausstellung des Letztgenannten wurde 1990 das nach ihm benannte Kulturzentrum Weberhaus im denkmalgeschützten Geburtshaus eröffnet, womit das künstlerische Erbe der Stadt eine erste Heimat erhielt. Heute beinhaltet es eine Galerie, ein Café, die Stadtbücherei und einen als Jazzkeller bezeichneten Veranstaltungs­raum, in dem sich in den vergangenen 30 Jahren internationale Größen die Klinke in die Hand gaben. Joe Zawinul, Peter Wolf, Karlheinz Miklin, Stochelo Rosenberg oder Literat H. C. Artmann sind nur einige, die sich hier ein Stelldichein gaben. Früh stellten neben regionalen Kulturschaffenden auch namhafte Künstler hier aus: Arik Brauer, Hermann Nitsch, Alfred Hrdlicka oder Arnulf Rainer beispielsweise. Und natürlich Günter Brus, ein Künstler, mit dem Weiz besonders verbunden ist – und der auch Ehrenringträger der Stadt ist. Seine Arbeiten wurden in den 1990er Jahren nicht nur im Weberhaus gezeigt, sondern im Projekt „Glühapfel“ auf die Schnee bedeckte Retzklamm projiziert oder in dem Projekt „Das indische Bild“ von indischen Plakatmalern auf riesige Alutafeln übertagen und auf die Fassade des alten Feuerwehrhauses gehängt. An eben diesem Ort wurde später das Kunsthaus errichtet und 2005 eröffnet.

Das mit der Geramb-Rose ausgezeichnete Haus, geplant von Architekt Dietmar Feichtinger, bietet in Kombination mit dem Kulturzentrum Weberhaus und dem Alten Rathaus eine Kulturzone mit einer außergewöhnlichen Aura, erfüllt alle Anforderungen des modernen Kunstbetriebes und fügt sich als transparenter Glaskörper harmonisch in die Innenstadt ein. Der wellenförmige Bau mit Kupfer ummantelten Wänden bringt die Verbindung mit der in der Region angesiedelten Elektroindustrie zum Ausdruck. Den Kern des Hauses bildet ein modernst ausgestatteter Veranstaltungssaal und die Ausstellungsflächen der Stadtgalerie. Mit der ersten Ausstellung, die ebenfalls Günter Brus gewidmet war, konnte man ab Tag eins die Augen der Kunstwelt auf den spektakulären Bau richten. Weitere Stars der Szene sollten folgen: Daniel Spoerri, Günter Grass, Oswald Oberhuber oder Valie Export, um nur einige zu nennen, bespielten die Räumlichkeiten mit Malerei und Installationen. Unzählige Ausstellungen steirischer Künstler zeugen auch vom Credo des Kunsthauses, zeitgenössische heimische Kunst für die Bewohner der Stadt zu präsentieren. Dieser breite Zugang hat nicht nur neues Publikum erschlossen, sondern auch die Kunstproduktion in der Region angeregt. Gefeiert wurde das doppelte Jubiläum – 30 Jahre Weberhaus / 15 Jahre Kunsthaus – bis vor kurzem mit einer „BEST-OF“-Ausstellung, in der Arbeiten all der großen Namen der vergangenen Jahre gezeigt wurden. Nun wird der Blick wieder nach vorne gerichtet und die nächsten Schauen im September und Oktober widmen sich dem Werk von Erwin Lackner und
Peter Sengl.

Foto: Harald Polt

Nicht weniger prominente ­Namen betraten auch die Bühne: Charlie Watts, Pat Metheny, Roger Chapman, Chick Corea, Tommy Emmanuel, John McLaughlin, Omara Portuondo, Bob Geldof und viele, viele mehr begeisterten Einheimische wie Gäste gleichermaßen. Und die Liste wird stetig fortgeschrieben. Etwa mit den jährlich stattfinden Jazzdays oder dem im September zum mittlerweile zweiten Mal über die Bühne gegangenen kukuk-Festival, in dem an zwei Tagen junge österreichische Musik (und Literatur) von den Dives, Paul Plut, Yasmo & die Klangkantine und Dramatik von Ferdinand Schmalz im Kunsthaus geboten wurde. Weiters folgt im Herbst ein Literatur- und Musikschwerpunkt mit Josef Haslinger, Wolfgang Böck, Julia  Stemberger und Konstantin Wecker.

Apropos Dramatik, auch hier fällt wieder der Name Günter Brus, denn sowohl sein Stück Burleske Kunstfehler als auch Der Frackzwang wurden im Kunsthaus zur Uraufführung gebracht. Der Brückenschlag ins Jahr 2020 gelingt durch aktuelle Produktionen mit dem Grazer Künstlerkollektiv Das Planetenparty Prinzip oder der Open Stage Weiz, in der heimischen Kulturschaffenden die Möglichkeit geboten wurde, mit dem vorhandenen Equipment kostenlos Videos ihrer Performances für den digitalen Raum anzufertigen.

Natürlich sind die Ausstellungsflächen auch für regionale Künstler eine Möglichkeit, sich zu präsentieren, denn nur so kann das kreative Potenzial der Region sinnvoll gefördert werden. Deshalb gibt es in der Oststeiermark heute eine ungeheure Dichte an künstlerisch tätigen Menschen und die bildende Kunst hat einen hohen Stellenwert. Nicht zuletzt hat sich auch die hiesige Kunstschule KO etabliert und die jährliche AKUnale, das Kunstfest für Kunstschaffende aus der Region, zeugt von der großen Schaffenskraft der lokalen Szene, in der auch die Kunstgruppe Collage oder die 12er Gruppe starke Akzente setzen. Akzente, die auch überregional wahrnehmbar sind, wird die lokale Szene doch auch erfolgreich exportiert und im Austausch mit Künstlern aus Ländern wie Italien, Polen, Kroatien, Deutschland, der Türkei oder Tschechien gezeigt.

Kunst und Kultur finden in der Region keineswegs nur in der Bezirkshauptstadt statt. KOMM.ST, das Festival in Anger bei Weiz etwa verfolgt die Philosophie, neue Kunst an alte Orte zu bringen. Seit 2011 wird die oststeirische Region Anger-Puch von Veranstalter Georg Gratzer alljährlich in einen Schmelztiegel aller möglichen Kunstarten – von Konzerten bis zu Ausstellungen – verwandelt und internationale Kunstschaffende kommen jeden Mai in die verschiedenen Dörfer der Region. Darunter waren schon US-amerikanische Maler und Roboterbauer, britische Magier, Designerinnen aus Singapur, Musiker aus Indien und vieles mehr. Zusätzlich dazu gibt es seit dem ersten Jahr eigens für das Festival geschriebene Theaterstücke, die in verschiedenen Gasthäusern aufgeführt werden. Dabei stehen regionale sowie universelle Themen gleichermaßen im Mittelpunkt. Die alten Orte, in denen diese neue Kunst gezeigt und inszeniert wird, sind neben Kirchen und Gasthäusern auch verlassene Geschäftsflächen, auf den ersten Blick unbedeutende Winkel und manchmal einfach der öffentliche Raum.

In Birkfeld bietet die Plattform KUNSTZONE ­JOGLLAND/WECHSELLAND Künstlern, Kulturvereinen sowie Veranstaltern ein Portal, sich professionell zu präsentieren und über die Netzwerkplattform regelmäßig in Dia­log zu treten. Die KUNSTZONE zeigt die Vielfalt und künstlerische Qualität der Regionen Joglland/Wechselland auf und definiert den lokalen Kunst- und Kulturmarkt neu.

Kunst, Literatur, Philosophie und neue Töne präsentiert das von Walter Kratner kuratierte Festival PfingstArt, ein Kulturfest unter kirchlicher Patronanz am Weizberg, welches sich aktuellen Themen widmet und deren religiösen und philosophischen Horizont erkundet.

Ein relativ junger Ort für künstlerische Auseinandersetzung ist der Kunstpark in St. Ruprecht/Raab. Er vereint zwei große Schwerpunkte: Kunst im Inneren des Peace-Zeichens und Natur im Außenbereich drumherum. An die zwanzig Künstler stellen dort aktuell ihre Objekte aus, die immer wieder durch neue ersetzt werden, was eine gewisse Lebendigkeit und Veränderung des Parks garantiert.

Dr. Georg Köhler ist Kulturmanager, Mitglied des steirischen Kulturkuratoriums und als Kulturbeauftragter für den Ausstellungsbreich der Stadt Weiz verantwortlich.